Kurt und seine Schwester Trautchen mit den Eltern vor der Laube
Grete, Willi, Mutter, Vater und Willis Frau. Vorne Kurt und Trautchen

Kindheit und Jugend

Schon bei der Geburt 1921 hat das kleine Kurtchen seinen eigenen Kopf. Auf der Eisenbahnfahrt von Prag nach Berlin war er auf einmal da und machte sich durch lautes Plärren bemerkbar. Als Sonntagskind war er ein Leben lang ein glücklicher und zufriedener Mensch. Aus Geldmangel leben die Eltern als einzige Dauerbewohner in einer Laubenkolonie in Tempelhof. Mit fünf Jahren beginnt er für seine Freunde Tiere zu malen.

„Es war der Garten mit seinen Früchten und es war unsere Ziege Meta, die halfen, dass ich groß und stark wurde. Aber es war auch das Umfeld, Käfer, Spinnen, Schmetterlinge und vor allem der rote Franzosenkäfer, die mich erregten. Da gab es den großen gelben Kürbis, die knallroten Tomaten, das frische Grün der Schoten. Das waren schon Erlebnisse.“

1932 zieht die Familie nach Blankenfelde an den Stadtrand in ein Modellprojekt des Senats.

„Hier draußen war einer so arm wie der andere und folglich auch der eine auf den anderen angewiesen. Hier siedelten ja nur kinderreiche Arbeiter, die schon lange arbeitslos waren. Jeder baute für jeden, auch mein Vater machte da mit. Dann sind wir eingezogen, obwohl alles klitschnass war“

Sägespähneofen im Atelier am Chamissoplatz
Foto: © Peterpaul Koch

Zweiter Weltkrieg

Im zweiten Weltkrieg wird er als Fallschirmjäger schwer verwundet, die linke Hand bleibt für immer steif, am Bein fehlt auch ein Stück. Bei den langen Lazarettaufenthalten aquarelliert er, um sich von den Schmerzen abzulenken. Er wird trotz seiner Verwundung wieder eingezogen, landet wegen seiner Aufsässigkeit in einer Strafkompanie und wird bei Himmelfahrtkommandos eingesetzt.

„Ich irrte nun in der Nacht umher und suchte nach weiteren Überlebenden. Nach Mitternacht fanden sich acht Mann von unserer Kompanie zusammen. Unser Feldwebel war mit dabei. Er wollte nun mit dem kläglichen Rest das amerikanische Heer aufhalten.“

Kurt Mühlenhaupt
Kurt mit Intellektuellen

„Ich will ein großer Maler der Liebe werden“

Die Familie überlebt das Kriegsende mit Hamsterfahrten und illegalem Tabakanbau. Kurt malt, wann immer er kann, und wird dabei von Karl Hofer auf den Rieselfeldern entdeckt. 1946 war an der Akademie entweder Bauhaus oder Expressionismus angesagt. Der Professor fragt Kurt Mühlenhaupt wie er sich verwirklichen wolle, der aber antwortet inhaltlich: „Ich will ein großer Maler der Liebe werden“. So wird er ein Menschenmaler, der mit viel Humor und Herzenswärme die kleinen Leute und ihr Milieu schildert.

„Malte ich eine kleine Toilettenfrau, so war sie lieb anzusehen, auch noch mit dicken Beinen. Das passte genau zu meinen Wünschen, mit meinen Bildern etwas von der verlorenen Liebe wiederzugeben. Nur der kann Liebe weitergeben, der selber welche empfängt.“

Nachdenklich

Scheitern an der Akademie

Er wird an der Akademie angenommen und beginnt ein Studium. Als er jedoch Meisterschüler bei Schmidt - Rottluff werden will, spricht dieser ihm jegliche künstlerische Begabung ab. Das Verdikt stürzt den jungen Maler in tiefe Depressionen.

„Nun wollte ich mit keinem Menschen mehr etwas zu tun haben. Ich verließ schon seit einiger Zeit mein Zimmer nicht mehr, ließ auch keinen nach oben. Ich sah nur die Hände meiner Mutter, wenn sie das Essen ins Zimmer schob, aß aber kaum etwas. Zu der Zeit wog ich weniger als hundert Pfund und sah aus wie ein Gespenst.“

Es folgte ein langer Aufenthalt in der Hufelandklinik in Berlin-Buch.

„Es sprach sich in der Anstalt herum. Die vielen Doktoren wollten alle ein Bildchen. Ich hatte vollends zu tun. Meine Krankenstube verwandelte sich in ein Atelier. Für die Ärzte war ich ein Rätsel. Nach drei Monaten Gekleckse sahen sie, dass ich wieder ganz gesund war.“

Bildermarkt in der Kreuzbergstraße am Fuße des Wasserfalls
Foto: © Wolfgang Bera
Kurt und Rosi im „Leierkasten“
Kurt im Atelier am Chamissoplatz
Foto: © Peterpaul Koch

Neuanfang in Kreuzberg

1953 heiratet er Frieda Konrad. Ein Jahr später kommt die Tochter Christine zur Welt. Als die Stasi ihn unter Druck setzt, flieht die Familie nach Westberlin.

Der Neuanfang ist schwer. Nach Versuchen als Kartoffelschalenbimmler und Leierkastenmann eröffnet Kurt Mühlenhaupt in Kreuzberg eine Trödelhandlung. Schon bald finden dort berühmte Feste statt. Freundschaften mit Günter Grass, Wolfgang Schnell, Günter Anlauf und Günther Bruno Fuchs bringen neue Anregungen.

Sein Sohn Carol wird 1962 geboren. Für die Mutter Rosi Kendziora kauft er eine heruntergekommene Kaschemme in Kreuzberg, die sich schon bald zum angesagten Künstlerlokal „Leierkasten“ mausert. Kurt organisiert Ausstellungen und Musik. Es finden legendäre Feste statt. Dürenmatt und Henry Miller schauen vorbei.

Eine erste Einzelausstellung gibt es im Berliner Kunstkabinett. Bald darauf richtet er eine Druckwerkstatt ein. Sein Anliegen ist zutiefst demokratisch. Kurt Mühlenhaupt will gute und bezahlbare Kunst für „die kleinen Leute“ herstellen. Holzschnitte, Radierungen, Lithographien und Handpressenbücher entstehen. Der erste Berliner Bildermarkt findet vor seiner Trödelhandlung statt. Daraus entwickelt sich der Kreuzberger Kunstmarkt. Erster Erfolg stellt sich ein.

Kurt im Archiv in Kladow.
Frieda und Kurt Mühlenhaupt, Friedrich Schröder-Sonnenstern und Willi Mühlenhaupt (rechts hinten)
Foto: © Heinz-G. Krohn
Modeshooting in der Trödelhandlung (Kurt im Spiegel)
Foto: © Hubs Flöter

Der Sonne entgegen

„Bis 1960 war alles sehr ruhig. Aber dann auf einmal ging es los, ick glaube, sie brauchten ein Orginal. Von dem Tag an ließen sie mir nich mehr in Ruhe. Erst kamen die Leute von der Zeitung, dann vom Film und dann kamen se alle. Wat war bloß los? Ick malte doch nur meine Bilder, Männeken, Blumen, Automobile, nackte Weiber, alles in stiller Poesie.“

Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland verbessern die finanzielle Situation. Allmählich kann er ausschließlich von seiner Kunst leben. Vom immerwährenden Fernweh getrieben, kann er nun endlich durch die Welt gondeln, verbringt Monate in Spanien, Italien und Frankreich. In Valoris macht er Bekanntschaft mit Picasso.

„Eine Richtung musste ich wählen und fuhr ohne festen Plan immer der Sonne entgegen. Erst einmal ging es durch Frankreich. Hier kochte ich für den Tag eine Suppe und schlief im Auto. Die Speiserestaurants waren viel zu teuer. Ich war unterwegs, um zu malen und nicht um zu essen.“

Zweimal in Kreuzberg „wegsaniert“, kauft sich Kurt Mühlenhaupt 1975 einen Bauernhof in Kladow. Dort baut er den großen Feuerwehrbrunnen für den Mariannenplatz, malt monumentale Stadtbilder für das ICC und entwirft Mosaiken für das Stadtbad im Wedding. 1980 findet in der Berliner Kunsthalle eine erste Retrospektive mit 475 Objekten statt. Es kommt zu Besucherrekorden.

1981 trifft er mit Hannelore Frisch die Liebe seines Lebens. Sie kaufen eine Quinta an der Algarve und leben abwechselnd in Berlin und Portugal. Auch dort ist er als Maler erfolgreich. Nach der Wende entdecken sie einen heruntergekommenen Gutshof in Bergsdorf. Die mühevolle Aufbauarbeit ist für die beiden ein neues Abenteuer.

Kurt vor der Staffelei in Bergsdorf
Eines der letzten Fotos von Kurt Mühlenhaupt

Letzte Station: Bergsdorf

Es entstehen viele neue Bilder. Das alte Herrenhaus und das kleine Dorf in der Mark werden zur bleibenden Heimat. Mit der Vision vom eigenen Museum entsteht ein Kulturzentrum, das sein Publikum von weither anzieht. 1995 heiraten Kurt Mühlenhaupt und Hannelore Frisch.

„Nach Jahren wilder Ehe habe ich hier meine Hannelore geheiratet, sie ist der Stern meines Lebens. Mit ihr werde ich hundert Jahre alt.“

Die letzten Lebensjahre sind von Krankheiten gezeichnet. Alte Kriegsverletzungen brechen wieder auf. Sich gegen die Qualen wehrend, beginnt er seine Biografie zu schreiben. Das nachlassende Augenlicht macht ihm zu schaffen. Fast erblindet, malt der Meister mit Hilfe einer Assistentin unermüdlich weiter und bleibt trotz seiner Gebrechen ein glücklicher Mensch.

Er stirbt am Ostermorgen 2006 in seinem Haus in Bergsdorf. Ein Maler der Liebe ist er bis zum Schluss geblieben. Sein Publikum, das vor allem in den Sommermonaten zahlreich nach Bergsdorf pilgerte, gab ihm die Liebe reichlich zurück.